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„bonum et malum“


8. SEPTEMBER 2019 – 12. JANUAR 2020


Anita Ackermann, Nasser Almulhim, Chrissy Angliker, Oded Arad, Inna Artemova, Max Beckmann, Andreas Blank, Anina Brisolla, Karol Broniatowski, Claus Brunsmann, Thomas Leo Chapman, Claudia Chaseling, Antonina Denisiuc, Kerstin Dzewior, Amir Fattal, Mafalda Figueiredo, Doug Fishbone, Daniel Grüttner, Mariana Hahn, Stefan Hain, Janes Haid-Schmallenberg, Chris Hammerlein, Simon Heser, Monika Immrova, Miru Kim, Franziska Klotz, Wanda Koller, David Krippendorff, Milan Kunc, Jani Leinonen, Via Lewandowsky, Sarah Lüdemann, Paul Maciejowski,  Milovan Destil Markovic, Sara Masüger, Almagul Menlibayeva, Tracey Moffatt, Jennifer Oellerich, onformative, Ulrich Panzer, Françoise Pétrovitch, Otto Piene, Aurora Reinhard, Gerhard Richter, Stefan Rinck, Kerstin Serz, Jörg Schaller, Maik Schierloh, Thomas Schütte, David Szauder, Dagmar Uhde, Mariana Vassileva, Elisabeth Wagner, Michael Wutz, Vadim Zakharov, Jindrich Zeithamml

 


Ausstellungsansichten BONUM ET MALUM:

 
 



ÖFFNUNGSZEITEN
DO – SA / 12 – 18 UHR
SOWIE NACH VEREINBARUNG

FINISSAGE + NEUJAHRSEMPFANG
12. JANUAR 2020 / 12 – 16 UHR


kleinervonwiese, VILLA ERXLEBEN
DOUGLASSTRASSE 28, D–14193 BERLIN

 
 

bonum et malum (DEU)

Mit der Ausstellung „bonum et malum“ eröffnet die Galerie KLEINERVONWIESE ihre neuen Räume in der ehemaligen Villa Erxleben in Berlin Grunewald.
Das monumentale, zugleich verspielte Gründerzeitgebäude aus dem Jahr 1907 mit seinem prächtigen Park hat die Dimension einer großzügigen Sammlervilla. Ob sie es jemals war, bleibt Vermutung, denn die Spuren des einst sehr wohlhabenden Bauherrn, des Bankiers Julius Erxleben, sind von der Zeit verwaschen.
Ein persönliches Relikt seines Lebens ist allerdings ein Ex Libris, mit dem er die Werke seiner Bibliothek versah. Es zeigt den in alten Büchern wurzelnden Baum der Erkenntnis und die Schlange, die sich um den Baumstamm windet. Ebenfalls schlangengleich durchzieht den Baum ein luftiges Spruchband mit der Prophezeiung aus Schlangenmund: „Eritis sicut deus scientes bonum et malum“ - Ihr werdet sein wie Gott, erkennen das Gute und Böse. Julius Erxleben  wählte in jenen entdeckungsfreudigen, turbulenten Jahren der Gründerzeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts genau diese Passage aus der Genesis: „Ihr werdet sein wie Gott, erkennen das Gute und Böse“ als seinen Favoriten. Eine Art Garantie, die auch Goethes Mephisto seinem Schüler ins Stammbuch schreibt.

Self-fulfilling prophecy würden wir heute sagen. Denn wir sind heute tatsächlich wie Gott und vielleicht sogar noch einen Schritt weiter: Auf unserer unablässigen Jagd nach dem verlorenen Paradies malen wir Gut und Böse grau - genau wie das Geschlecht – und sind dabei beides: befreiend und zerstörerisch und mutig und überheblich zugleich. Wir fressen Fraß, sind ansonsten liberal und unisex und durchleben in Windeseile gottgleich gemeinsam das Anthropozän.

Ein Zeitalter, das keinem vorherigen gleicht und in dem der Mensch sein künftiges Dasein in einer selbstgeschaffenen, weltweiten Kloake, umgeben von recycelter Luft, recyceltem Wasser und recyceltem Boden zu feiern droht! Und zwar als feinsinnig konstruiertes, hybrides Wesen aus natürlicher und künstlicher Intelligenz mit einem Alltagsmix aus digitaler und virtueller Realität, dessen auf 200 Erdenjahre verlängerte und überwiegend weiße männliche Existenz – obendrein um die eines Pixel-Avatars erweitert - sich in einem exakt berechneten, gläsernen Radius abspielen wird.

„Ist das das Ende der Verführung?“, bleibt zu fragen.

Julius Erxleben, ein Mann, der seinen Reichtum nicht versteckte, mochte aus der von ihm gewählten Passage der Genesis vielleicht aber vor allem die Schlange? Und auch, dass Evas Neugier stärker war als ihre Angst vor Strafe? Vielleicht mochte er vor allem auch die Idee, dass Gott weit mehr geschaffen hatte als nur das Paradies?

Es lässt sich als sein ganz persönliches Signum lesen. Denn nichts anderes ist ein Ex Libris. Es signalisiert die Geisteshaltung dessen, der es verwendet. Ähnlich wie wir es heute mit dem Motto halten, was wir unserem WhatsApp oder LinkedIn Account verpassen. Wir wissen heute nicht, ob die Voraussage aus der Genesis auf Julius Erxlebens Begeisterung stieß, oder ob sie ihn eher wehmütig machte. Fakt ist, dass er ihr scheinbar große Bedeutung beimaß.

„Ihr werdet sein wie Gott, erkennen das Gute und Böse“ sagt die Schlange, hält Eva den Apfel vor die Nase, die einfach nicht anders kann und hineinbeißt. Und dann verstößt Gott Adam und Eva aus dem Paradies. So jedenfalls die allen bekannte Geschichte.
Was aber, wenn der Sündenfall die beiden eher befreit hat? Befreit von der Umzäunung des Paradieses und erlöst von dem ewigen Gleichmaß an Harmonie?

Was, wenn Gott nicht vor allem das Paradies, sondern viel mehr alles andere erschaffen, hat? Alles, was nicht das Paradies und ohne Harmonie ist und keinen Zaun braucht - also weder Schutz noch Verteidigung? Vielleicht sind wir seit zweitausend Jahren in einem kolossalen Missverständnis verfangen?

Was, wenn Gott die träge Eva und der noch trägere Adam einfach nur auf die Nerven gingen und er ihnen die Schlange schickte, damit sie endlich aufwachten und sehen lernten, was er erschaffen hat?

Das „Öffnen der Augen“ beginnt mit der Lust auf den Apfel und nach dem Genuss der Frucht mit der Wahrnehmung des eigenen Selbst - und damit der Wahrnehmung des Anderen als ein Gegenüber. Es bedeutet einen Perspektivwechsel, bei dem der sehend gewordene Mensch nun anders auf die Dinge blickt, sie anders wahrnimmt, etwas sieht, was vorher nicht im Blickfeld und etwas empfindet, was vorher nicht da war. Die spontane Lust und der Verlust des paradiesischen Standes der Unmündigkeit mit allen Konsequenzen sind unauflöslich miteinander verknüpft. Wie das Gute und das Böse, wie Ursünde und Urfreiheit. Nichts anderes ist die Kunst. Sie ist das Vermögen, Ursünde und Urfreiheit miteinander zu vereinen - um der Erkenntnis willen.

Nun also sind die Menschen zwar dem Paradies entkommen, aber was haben sie eigentlich bis heute gelernt? Immer wieder stehlen sie sich davon, versuchen, dem Pfad der Erkenntnis zu entkommen, nivellieren Gut und Böse und trachten nur nach dem einen: Das Verlorene zurückzuholen! Und so erschaffen sie Paradiese, wo sie nur können: Ganz winzige als Jahresurlaub mit abgezäuntem Strandquartier und Vollpension. Aber auch gigantische: Erst gebaut mit Ländergrenzen, umtobt von heißen und kalten Kriegen, später in diversen Cyberversionen - gezündet im Netz zwischen Influencern und Konsumenten auf Facebook & Co., getrieben vom unersättlichen Bedürfnis nach Sicherheit, Abgrenzung, Zugehörigkeit und Macht - und ebenso umkämpft von gigantischen Schlachten, die sich heutzutage jedoch hauptsächlich an den Börsen dieser Welt ereignen. Und so immer weiter!

Armer Gott - wann hören sie auf, immer neue Zäune zu errichten, wann endlich sind sie geheilt von ihrer Paradies-Psychose? Denn als damals das Paradies endlich hinter ihnen lag, verflog in den Weiten der Welt fürs Erste ihre Trägheit und sie wurden bis auf weiteres drahtig und schön, böse und gut. Adam hörte fortan auf Eva, die wies ihm den Weg und er stand auf sie. Damals die Schlange zu schicken war tatsächlich vor allem ein Akt von Gottes reiner Barmherzigkeit! Auf die weibliche Neugier, immerhin, konnte er sich verlassen: Eva würde den Apfel - als Sinnbild der Lust - schon greifen und Adam mitreißen!

Aber wen soll Gott heute schicken?

Der Teufel und der liebe Gott stecken nicht nur im Detail, sondern auch in den Mühen der Ebene!

„Eritis sicut deus scientes bonum et malum“. Das auszuhalten nicht nur für den Augenblick, sondern auf Dauer - Rückfälle inbegriffen - ist eine Aufgabe für immer.

Ihr werdet sein wie Gott, erkennen das Gute und Böse - ab 7. September 2019! 

Die Eröffnungsausstellung von KLEINERVONWIESE in der ehemaligen Villa Erxleben im Grunewald erspielt die Facetten dieser hoffentlich unendlichen Geschichte.

Dorothée Bauerle-Willert, Constanze Kleiner, Rachel Rits-Volloch, Stephan von Wiese

 

bonum et malum (ENG)

The KLEINERVONWIESE gallery is opening its new rooms in the former Villa Erxleben in Berlin Grunewald with the exhibition “bonum et malum”.

The monumental and simultaneously playful Wilhelminian period building from the year 1907, with its magnificent park, is the size of a grand collector’s villa. It is debatable, however, whether it was ever such a building, for the traces of its once very affluent owner, the banker Julius Erxleben, have faded over time.

A personal relic from his life is an ex libris he applied to the works in his library. It shows the Tree of Knowledge rooted in old books and the snake winding round the tree trunk. Similarly, a banner, high up in the air, snakes round the tree, bearing the prophecy from the snake’s mouth: “Eritis sicut deus scientes bonum et malum” – You will be like God, knowing good and evil. In those turbulent, exploratory years of the Wilhelmine period at the beginning of the last century, Julius Erxleben chose this precise passage from Genesis as his favourite: “You will be like God, knowing good and evil.” A kind of guarantee, which Goethe’s Mephisto also wrote in his student’s album.


A self-fulfilling prophecy, we would say today. Because today we really are like God, and perhaps we’ve even gone a step further. On our incessant hunt for the lost Paradise, we paint good and evil grey – just as we do with gender – and we are therefore both: simultaneously liberating and destructive and courageous and arrogant. We eat muck, but are otherwise liberal and unisex, living through the Anthropocene together, in next to no time, godlike.

An age that bears no resemblance to any that has gone before, and in which the human being threatens to celebrate his future existence in a self-created, global cesspit, surrounded by recycled air, recycled water and recycled earth! And in fact as a sensitively constructed, hybrid being consisting of natural and artificial intelligence with an everyday mixture of digital and virtual reality, whose predominantly white male existence, lengthened to 200 earth years – and, on top of that, expanded to include a pixel avatar –, will be lived out within a precisely calculated glass radius.

The next question is: “Is this the end of temptation?”

But in the passage he chose from Genesis, was it perhaps the snake that Julius Erxleben, a man who did not hide his wealth, liked best of all? And did he also like the fact that Eve’s curiosity was stronger than her fear of punishment? Perhaps he also liked, above all, the idea that God had created much more than Paradise?

This is what we read as his very personal logo. Because an ex libris is nothing other than this. It signals the mindset of the person who uses it. Similar to the motto we attach to our WhatsApp or Linkedin account today.

We do not know today whether the prediction from Genesis was met with enthusiasm by Julius Erxleben, or whether it actually made him feel melancholic. The fact is that he seemed to attach great importance to it.

“You will be like God, knowing good and evil”, says the snake, holding the apple out to Eve, who cannot help but bite into it. And then God expels Adam and Eve from Paradise. At least, that’s how the story we all know goes.

But what if the Fall from Grace actually liberated Adam and Eve? Liberated them from the enclosure of Paradise and redeemed them from the eternal symmetry of harmony?

What if God did not primarily create Paradise, but rather everything else? Everything that is not Paradise and is without harmony and does not need a barrier – i.e. neither protection nor defence? Perhaps, for two thousand years, we have been caught up in a colossal misunderstanding.


What if the idle Eve and the even idler Adam simply got on God’s nerves, and he sent them the snake so that they would finally wake up and learn to see what he had created?

The “opening of the eyes” begins with the desire for the apple and then, after the enjoyment of the fruit, with the perception of one’s own self – and thereby the perception of the Other as a counterpart. It means a change in perspective, whereby the person who has learned to see now looks at things differently, perceives them differently, sees something that had not previously been within their scope of perception, and feels something that was not there before.

Spontaneous desire and the loss of the paradisiacal condition of innocence, with all its consequences, are inextricably linked with one another. Like good and evil, like original sin and original freedom. Art is no different. It is the ability to unite original sin and original freedom with one another – for the sake of knowledge.

So, humans escaped Paradise, but what have they actually learned up to now? They repeatedly slip away, try to elude the path of knowledge, level out good and evil and strive for one thing only: to bring back what has been lost! So they create paradises wherever they can: very tiny ones in the form of annual holidays with a fenced off beach area and full board. But also gargantuan ones: initially set up in the form of national boundaries, enclosed by hot and cold wars, later in various cyber versions – ignited within the network between influencers and consumers on Facebook & Co., driven by the insatiable need for security, delineation, belonging and power – and likewise contested by titanic battles which today, however, mostly take place on the world’s stock exchanges. And so it goes on!


Poor God – when will they stop putting up new fences? When will they finally be cured of their paradise psychosis? For back then, once they finally had Paradise behind them, it was initially their idleness that evaporated into the vast expanses of the world, and they became, for the time being, sinewy and beautiful, evil and good. From now on, Adam listened to Eve, who showed him the way, and he desired her. Sending the snake at that time was actually, above all, an act of God’s pure mercy! After all, he could always rely on female curiosity: Eve would certainly take the apple – the symbol of desire – and take Adam with her!

But whom should God send today?

The devil and the good Lord are not only in the detail but also in the painstaking legwork!

“Eritis sicut deus scientes bonum et malum” – enduring this, not only for a moment, but permanently – including relapses – is an infinite task.
You will be like God, knowing good and evil – from 7 September 2019!

The opening exhibition by KLEINERVONWIESE in the former Villa Erxleben in Grunewald plays out the different aspects of this – hopefully – infinite story.

Dorothée Bauerle-Willert, Constanze Kleiner, Rachel Rits-Volloch, Stephan von Wiese



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